Gefährliche Nähe: zwei Drittel der Autofahrer zu dicht dran an Radfahrern!
Das Gefühl hat man als Radler oft, nun ist es wissenschaftlich bestätigt : Deutschlands Autofahrer halten zu großen Teilen beim Überholen den vorgeschriebenen Mindestabstand von 1,50 Meter nicht ein. Das bedeutet: Gefahr im Vorüberfahren!
(lub) - Besorgniserregende Ergebnisse einer Studie der Hochschule Kempten
Tobias Heilig hat schon immer ein ungutes Gefühl , wenn er mit seinem Fahrrad auf Kemptens Straßen unterwegs ist:“ Ich fühle mich unsicher, irgendwie gefährdet durch Autos, die mich sehr knapp überholen.Jetzt weiß ich es: es ist nicht nur ein Gefühl, es ist wirklich so, daß viele Pkw-Lenker viel zu dicht an uns vorbeifahren!“ Der verkehrspolitische Sprecher des ADFC Kempten-Oberallgäu ist ein erfahrener Radler, der täglich mit dem Radl zur Arbeit fährt, ihn kann so schnell nichts erschüttern.Das nun durch ein Abstandsmess-Projekt der Hochschule Kempten bestätigte Überholverhalten des motorisierten Verkehrs macht Heilig nachdenklich:“ Das verunsichert immer mehr Fahrradfahrende, da wächst jetzt der Handlungsbedarf von Kommunen und Verwaltungen!“
Die Professoren Dr. Thomas Zeh und Dr. Tim Poguntke von der Fakultät Elektrotechnik der HS Kempten hatten im Frühjahr ein Projekt initiiert, bei dem ihre Studenten mit Unterstützung des ADFC mehrere Tausend Überholvorgänge zwischen Pkws und Radlern mittels eines bewährten und an Testrädern montierten Sensors maßen. Die Testfahrer des Fahrradclubs waren in Buchloe, Memmingen und auf vier vielbefahrenen Straßen(Lindauer-,Immenstädter-,Ludwig- und Duracher Straße) in Kempten unterwegs:“ Wir haben Brennpunkte und neuralgische Stellen gefunden, an denen im Schnitt 65 Prozent der Überholvorgänge zu nah erfolgten,also im Abstand von weniger als 1,50 Meter,“ erläuterte Professor Zeh bei einem Pressegespräch in Kempten-St.Mang die Ergebnisse der Messungen,“ das ist besorgniserregend!“ Denn gesetzlich vorgeschrieben ist innerorts ein Abstand von 1,50 Meter, außerorts sind es sogar 2 Meter.Verstöße können mit 30 Euro Bußgeld sanktioniert werden, so der Leiter der Verkehrspolizeiinspektion(VPI) Kempten, Polizeioberrat Robert Bischlager:“Auch wenn es beim Überholen von Radfahrern keine auffälligen Unfallzahlen gibt, macht die Studie nachdenklich,“ sagte Bischlager,“ gerade in Kurven oder auf engen Straßen entstehen schnell gefährliche Verkehrssituationen.“Künftige Polizeistreifen mit sensor-bestückten Fahrrädern und die Ermahnung von Nah-Überholern sind eine Überlegung wert, so der Polizeioberrat.Er wird sich die Studie der Hochschule genau ansehen und Schlußfolgerungen für die Arbeit der VPI ziehen.
Dies würde auch der ADFC begrüßen. Der Kreisvorsitzende Lutz Bäucker wünscht sich die Optimierung älterer(und zu schmaler) Radfahr-bzw. Radschutzstreifen :“ Heutiger Standard ist eine Mindest-Breite von 1,25 Meter." Ein Sicherheitspuffer zu parkenden Autos, die deutliche Markierung mittels Radsymbolen auf der Fahrbahn sowie häufigere und härtere Kontrollen von Radstreifenparkern durch die Polizei stehen ebenfalls auf der Wunschliste des ADFC:“ Es fehlt immer noch am politischen Willen, den stärkeren Verkehrsteilnehmern,also den Autos, etwas von ihrem Platz zugunsten der Sicherheit der schwächeren , also den Radfahrern, wegzunehmen,“ so Bäucker,“ Politik und Gesellschaft müssen das wollen, dann klappt das auch.“ Er plädiert für mehr Miteinander auf der Straße und mehr Rücksicht:“Wenn der Autofahrer an einer Engstelle den Radler nicht überholen kann, dann muß er eben warten, bis es wieder möglich ist.Nur so kommen alle unbeschadet ans Ziel.“Denn bei zu geringem Abstand entsteht durch den Fahrtwind eine Sogwirkung, die das Fahrrad ins Schlingern und damit zu Sturz bringen kann,ganz abgesehen von der subjektiven Verunsicherung und Angst der Überholten.
Interessante Erfahrungen kamen von seiten der beteiligten Kemptener Studenten. Bei eigenen Messfahrten fühlten sie sich „unsicher bis gefährdet, das haben wir nicht erwartet!“, bei der Auswertung der Ergebnisse stellten sie fest, daß das Vorhandensein von markierten Radfahr-bzw.Radschutzstreifen unter Umständen das Sicherheitsgefühl der Radfahrer erhöht, aber nicht immer das Verhalten der Automobilisten verändert:“Die überholen viel zu dicht, weil sie meinen,bis an die Markierungslinien auf der Fahrbahn heranfahren zu dürfen.“ Ein Trugschluß: der Abstand zum Radler muss immer 1,50 Meter betragen:“ Da ist es besser, keinen Radstreifen auszuweisen- denn dann machen die Autos einen größeren Bogen . Und das ist sicherer für die Radfahrer!“ Lutz dankte für die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Team von Professor Zeh sowie den Kemptener ADFC-Testfahrern Stefan Beckmann(Sulzberg) und Simon Anwander(Durach) für ihren Einsatz.
Diese Studie hat ein großes Medienecho ausgelöst.
So berichtete der “Bayerische Rundfunk ” ausführlich in seinen Hörfunkprogrammen(https://www.br.de/nachrichten/bayern/studie-grossteil-der-autos-ueberholt-radler-zu-eng,USCuNRC)
und in der “Abendschau- der Süden”(https://www.ardmediathek.de/video/abendschau-der-sueden/radeln-im-strassenverkehr-hochschule-stellt-forschungsergebnisse-vor/br/Y3JpZDovL2JyLmRlL2Jyb2FkY2FzdFNjaGVkdWxlU2xvdC80MTA2MDQ3MTM4MTNfRjIwMjNXTzAxNjEzNUEwL3NlY3Rpb24vODRiNWQwYTQtZjg2Ny00MzQ5LWIzMTAtMWI1NDUxMGNkM2Fi ).
Die “Allgäuer Zeitung” widmet der brisanten Thematik ebenfalls einen großen Artikel
im Magazin “Trendy one” ist ein ausführlicher Bericht zu finden(https://www.trendyone.de/news/zwei-drittel-der-autofahrer-zu-dicht-dran-an-allgauer-radfahrern)
und auch der “Kreisbote” hat sich des Themas ausführlich angenommen. (www.kreisbote.de/lokales/kempten.de)
Inzwischen interessieren sich auch andere Kreisverbände des ADFC in Bayern sowie Hochschulen für die Ergebnisse.